Grenzgang - Schillerlinde symbolisierte Protest gegen Adelstum

Bericht von Dieter Kraushaar und Klaus- Dieter Jung:

Mitglieder der SPD Rödgen und Gäste lernen auf Waldgrenzgang die Symbolik besonderer Bäume am Waldrand der Gemarkung kennen.

Zwischen den Jahren treffen sich traditionell die Mitglieder des SPD Ortsvereins Rödgen mit Gästen zum Grenzgang, bei dem es immer um interessante Themen geht und Informationen ausgetauscht werden.
Dieses Jahr entpuppte sich der Spaziergang durch die Gemarkung als „Waldgrenzgang“.
Vorsitzender Jürgen Becker hieß unter den mehr als 40 Teilnehmern auch Oberbürger- meisterin Dietlind Grabe- Bolz und den SPD- Stadtverbandsvorsitzenden Gerhard Merz willkommen.

Prof. Dieter Kraushaar führte die Gruppe bei angenehmem Winterwetter an vier Orte, an denen sich jeweils ein Baum von lokalhistorischer Bedeutung befindet. „Dabei kommen Aspekte der Waldbewirtschaftung ebenso zur Sprache wie die Symbolik der Bäume und die einstige Rolle des Waldrands als Ruhe- und Erholungsraum“, versprach Kraushaar zu Beginn.

Das Alter der "Alten Eiche"am Seeweg wird auf mindestens 300, höchstens 800 bis 1000 Jahre geschätzt wird. Der Baum ist ein Naturdenkmal. In der Vergangenheit ging ein einfacher Wirtschaftsweg von Rödgen nach Annerod vorbei, der von Fußgängern und landwirtschaftlichen Gespannen sowie Mühlen- Eseln genutzt wurde. 1933 wurde er im Zuge der Notstandsarbeiten durch den Freiwilligen Reichsarbeitsdienst befestigt - siehe Bild. Darüber berichtete der Anzeiger am 8. April 1933. 18 Rödgener und fünf Auswärtige bauten den Weg aus. An dem Baum wurde eine Tafel mit einem Gedicht angebracht, das gemäß dem deutsch- nationalen Zeitgeist Stärke und Ahnenkult verherrlichte. Damit wurde die Eiche zu einem Symbol von Kraft, Festigkeit und Macht.
In seinem Fazit sagte Dieter Kraushaar, die Alte Eiche habe nicht nur wegen gesellschaftlicher Veränderungen ihre Symbolkraft als „deutsche Eiche“ eingebüßt, sondern auch wegen ihres Alters. Als Resultat baumchirurgischer Eingriffe sei sie „in ihrem jämmerlichen Zustand eher ein Symbol für Hochaltrigkeit und Siechtum als für Kraft und Stärke“. Der Zugang zu dem alten Baum ist versperrt, sie lebt nach Kraushaars Darstellung in einer „geschlossenen Einrichtung“, der Weg wird heute von Pkw- und Fahrradfahrern als Schleichweg zur B 49 genutzt.

Nächstes Ziel war die „Heyer- Linde“, die nach Recherchen von Kraushaar am 18. April 1856 am unteren Ziegenberg- Hang gepflanzt wurde. Sie wurde auf Veranlassung des Forstrats Gustav Heyer gesetzt, der als zuständiger Aufseher des Rödgener Waldes auf dem verdornten und verwüsteten Areal Ziegenberg eine nachhaltige Waldbewirtschaftung einleitete. 1984 knickte der alte Baum unter einem schweren Orkan ab. An gleicher Stelle pflanzten der damalige Stadtrat Dr. Harald Lührmann und Orts- vorsteher Egon Fritz eine neue Linde. Sie ist von Dornen umgeben und kaum sichtbar.

In Rödgen findet sich am Hang vor dem Sportplatz seit 17. April 1859 eine "Kastanie". Rödgens ehemaliger Bürgermeister Körber suchte für dieses „Stämmchen“, das sich in seinem Gärtchen entwickelt hatte, einen neuen Standort. Er fand ihn auf einer Grasmulde am Nordhang des Ziegenbergs, wo die Kastanie als „Baum des Südens“ überraschend gut wuchs. Sie stand am Ende der dörflichen Ausfallstraße nach Süden und lud manchmal zu festlichen Zusammenkünften oder auch zu einem privaten Treffen ein. Eine vergleichbare symbolische Bedeutung wie die übrigen beim Grenzgang besichtigten Bäume hatte sie nach Darstellung von Dieter Kraushaar nie, gilt aber als Naturdenkmal.

Als weiteres Naturdenkmal erläuterte er die die auf dem Geiselstrauchkopf stehende „Schillerlinde", die am 11. November 1859 aus Anlass des 100. Geburtstags von Friedrich von Schiller gepflanzt wurde. Auch eine Straße in Rödgen ist nach ihr benannt. „Schillerfeiern“ seien damals in Deutschland ein Protest gegen das wieder erstarkte Gottesgnadentum der Adeligen gewesen, erfuhren die Grenzwanderer. Mit Schillers Gedanken aus seinem umfassenden dichterischen Werk trat man für nationale Einheit, Freiheitsrechte und Demokratie ein.
Es waren vorwiegend bürgerliche Gruppen, die diesen Protest trugen, aber auch Vorläufer der Arbeiterbewegung, wie etwa die Gesellen- und Bildungsvereine. Die aus diesem Anlass gepflanzten Bäume sollten die Freiheitsgedanken über den Tag hinaus am Leben erhalten. Heute reicht die Bebauung bis an die Schillerlinde heran. Kraushaar bedauert: „Der einzige Rödgener Baum mit einer politisch- freiheitlichen Symbolik ist zwar von gesundem Wuchs, wird jedoch kaum beachtet“.

An den vier Standorten befanden sich einst Ruhezonen, die zum Verweilen oder Feiern einluden. Kraushaar erinnerte sich: „Es war die Zeit, als man noch „ins Grüne“ ging, um von der Alltagsarbeit auszuspannen“. Doch diese Waldrandidylle habe angesichts heutigen Freizeitverhaltens und moderner Wellness- Angebote keine Bedeutung mehr.

Gemeinsam haben die besichtigten Bäume, dass sie sich an nordwestlichen Standorten des Bergwaldes (früher Högwaldes) befinden, die zur landwirtschaftlichen Nutzung wegen ungünstiger Hanglagen, felsiger oder auch nasser Böden schlecht geeignet sind. Die Flurbezeichnungen Ziegenberg, Geißelstrauch, Steinberg, Wüstung, Hartberg, Seelücke und Saukopf deuten auf diesen Sachverhalt hin und belegen außerdem, dass hier einst Ziegen und Schweine auf die Waldweide getrieben wurden.

Nach dem Rundgang kehrten die Grenzgänger im Rödgener Bürgerhaus ein, wo man es sich bei Hausmacher Wurstbrot und Getränken gut gehen ließ.