Bericht der Gießener Allgemeinen zur Ortsbeiratssitzung vom 06.03.2012

Kritik in Rödgen und Kleinlinden an RP- Anweisung zu Aufhebung von Tempo- 30- Regelungen

Gießen (ck). Eigentlich hatte sich der Rödgener Ortsbeirat während seiner Sitzung am Dienstag mit einer Radaranlage an der Großen- Busecker Straße in Höhe der Grundschule beschäftigen wollen, um über die dort geltende Tempo- 30- Regelung hinaus noch ein weiteres Mittel gegen die aus seiner Sicht bestehende Raserei vieler Verkehrsteilnehmer zu haben. Dann eröffnete ihm Ralf Pausch, Verkehrs- beauftragter von Bürgermeisterin Gerda Weigel- Greilich, dass das Regierungs- präsidium eine weitgehende Aufhebung des Tempolimits dort sowie in der Straße »Zum Bahnhof« verfügt und die Stadt angewiesen habe, dies bis zum 10. April umzusetzen.

Ähnliches Entsetzen wie in Rödgen herrscht derzeit auch in Kleinlinden. Denn auch dort soll laut RP das seit vielen Jahren vorgeschriebene Tempo 30 in der Wetzlarer Straße größtenteils zurückgenommen werden.
Laut RP handelt es sich bei den betroffenen Straßen in Rödgen und in Kleinlinden um gut einsehbare Durchgangsstraßen, auf denen Tempo 50 vorgeschrieben ist. Nur im Falle bestimmter Gefahrenpunkte könne von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden. Einen solchen habe man bei einer Verkehrsschau mit Vertretern von Polizei, Stadt, Straßenbauverwaltung und RP in Rödgen nur im Bereich der Schule vorgefunden – und dort auch nur zu Schulzeiten. Deswegen solle die Stadt dort für den Bereich Sporthalle bis maximal 50 Meter nach der Fußgängerampel in der Zeit von 7 bis 14 Uhr einen Tempo- 30- Bereich ausschildern, im weiteren Verlauf der Straßen sei die Geschwindigkeitsbegrenzung aufzuheben. In Kleinlinden wurde nur für den Bereich der Wetzlarer Straße 46 und der Einmündung »Zum Maiplatz« einen Bedarf für Tempo 30 gesehen, da dort die Gehwege sehr schmal seien. Für die restliche Straße solle Tempo 50 gelten.

Laut Rödgens Ortsvorsteher Dieter Geißler habe man im Stadtteil mit »absolutem Unverständnis« auf die Verfügung des RP reagiert. Angesichts des zum Teil geringen Straßenquerschnitts mit etlichen engen Kurven sowie Lkw- und Bus- Verkehr seien durchaus Gefahrenpotenziale vorhanden. Der Ortsvorsteher bemängelt, dass bei den Verkehrsschauen kein örtlicher Vertreter anwesend gewesen sei, um auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen. Dazu zählt Geißler die Rotlichtverstöße an der Fußgängerampel nahe der Schule sowie die Unfälle im Bereich des Bürgerhaus- Parkplatzes. »Wir werden das so einfach nicht hinnehmen«, gibt sich Geißler kämpferisch. Er möchte, dass der Magistrat Widerspruch gegen die Verfügung einlegt.

Unterstützung erhält Geißler von seinem Ortsvorsteherkollegen Norbert Herlein aus Kleinlinden. Der hält die Anweisung an die Stadt schlicht »für eine absolute Unverschämtheit«, zumal ihr falsche Behauptungen zugrunde lägen. Denn schmale Bürgersteige gebe es nicht nur in dem vom RP benannten Bereich, sondern auch in der Nachbarschaft. Und der Grund dafür, dass so wenige Unfälle passierten, liege einfach an der langsameren Geschwindigkeit. Von daher geht der Ortsvorsteher davon aus, dass die Stadt die Anweisung nicht umsetzt und es gegebenenfalls auch auf Gerichtsverfahren ankommen lässt. Wenig Hoffnung macht dagegen Pausch den Stadtteilen. Schließlich habe die Weisung eine lange Vorgeschichte, die bis 2007 zurückreicht. Seit dieser Zeit sei die Stadt regelmäßig angemahnt worden, die Aufforderung des RP nach weitgehender Aufhebung der Tempo- 30- Regelung umzusetzen. Der jetzigen Weisung könne man sich mehr verweigern, zumal Verkehrsangelegenheiten nicht in die Zuständigkeit der Stadt fallen, sondern im Auftrag des Landes wahrgenommen werden.

Kritik auch von SPD und Grünen Auf scharfe Kritik gestoßen ist die von RP angewiesene Neuregelungauch bei der SPD und den Grünen. »Es kann nicht sein«, so Dr. Bettina Speiser für die Grüne Fraktion, »dass hier durch eine Anordnung des Landes eine seit Jahren bewährte Regelung gegen den heftigen Widerstand von Bürgern, Ortsbeiräten und Stadt aufgehoben wird. Jetzt wolle das Land mit der Anordnung Fakten schaffen, die Stadt müsse sie umsetzen.« Grüne und SPD erkennen darin – ebenso wie bei der Aufhebung des Tempolimits am Gießener Ring – die Handschrift des FDP- Verkehrsministers Posch.

»Während sich das EU- Parlament erst im letzten Jahr für ein generelles Tempolimit von Tempo 30 in Städten ausgesprochen hat und damit den Kommunen erklärtermaßen den Rücken stärken will, verharrt die schwarz- gelbe Landesregierung in ihrer veralteten Verkehrsideologie, die nur die Interessen der Autofahrer kennt«, so SPD- Fraktionsvorsitzender Gerhard Merz. »Die positive Wirkung von Tempo 30 innerstädtisch auf Unfallzahlen, Schwere der Unfälle besonders bei Kindern und auf die Lebensqualität durch Rückgang von Lärm und Luftbelastung ist durch viele Untersuchungen gesichert.« Für SPD und Grüne steht fest, dass sie das Netz von Tempo- 30- Zonen in Gießen ausweiten wollen. Der Bund müsse endlich das generelle innerörtliche Tempo absenken. Dann könnten, wo es sinnvoll erscheint, immer noch Durchgangsstraßen mit Tempo 50 ausgeschildert werden. »Kleinlinden und Rödgen würden sicherlich nicht dazu gehören«, so Dr. Speiser und Merz abschließend.